Das Interview im Suppenkoma

Ein wenig gewürdigter Erfolgsfaktor bei Tagungsveranstaltungen ist das Catering. Von ihm hängt die Stimmung der Veranstaltung zu einem großen Teil ab, mit einer direkten Folge für das Gelingen der inhaltlichen Ziele.

Diese Einsicht bestätigte sich bei einer Veranstaltung, die ich jüngst moderierte. „Gesund leben“ was das mehr oder weniger deutlich verfolgte Motto der Fachtagung. Der Forderung entsprach das Catering voll und ganz. Gesund zu leben, mit der Ernährung zu beginnen, ist ein prima Ansatz und wird von jedem Auditorium begrüßt – vor allem wenn man direkt zur Tat schreiten kann.

Auch hier wogen die olfaktorischen und gustatorischen Argumente für die gute Sache schwer, schwer wie die vollen Teller, mit denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Sache waren – zuerst beim Begrüßungsimbiss, dann beim Mittagsbuffet und schließlich am Nachmittag bei Kaffee und Kuchen.

Leser mit Tagungserfahrung wissen, die anderen ahnen es: wir nähern uns dem Suppenkoma.

Ein guter Indikator für diese – kritische – Phase einer Veranstaltung ist die Zunahme der über den Bauch gefalteten Hände und die entspannte Sitzhaltung, die zufriedenen Mienen, in denen die Erinnerung an den gerade erlebten Genuss zu lesen ist. Ein Schwelgen also allenthalben und wohlige Atmosphäre machte sich breit.

Für Inhalte, gar für fachliche Inhalte, ist das eine eher ungünstige Zeit.

Meine Veranstaltung war auf die bewährte Weise als Aneinanderreihung thematischer Blöcke angelegt: eine Präsentation, ein Vortrag mit Fragen der Teilnehmer und dann das nächste Thema. Die Themen und ihre Ordnung standen fest als ich den Auftrag übernahm. Im Vorgespräch mit den Referenten konnten wir gleich die Moderation besprechen.

Dass der letzte Vortrag des Tages um halb drei die kritische Hürde sein würde, war dem Referenten klar; ihm das eröffnen zu müssen, blieb mir also erspart. So konnte meine für ihn aufkeimende Sympathie schnell wachsen, befeuert von der Einsicht, dass wir beide den gleichen Nichtdialekt teilen. Sie kennen keinen „Nichtdialekt“? Das ist was an Sprachfärbung übrig bleibt, wenn man über eine lange Zeit der Übung, Gewohnheit, Absicht oder Bemühung seinen ursprünglichen Dialekt ablegt.

Meinem Stichwort vom „Suppenkoma“ folgte von seiner Seite ein wissendes Auflachen, worauf ich konterte, wir könnten ja auch zusammen ein Interview veranstalten. Mit der spontanen Zustimmung und einem freundlichen Ende des Gesprächs vertagten wir uns auf ein Kennenlernen in der Veranstaltung.

Zwei Tage nach dem Telefonat sandte ich meinem zukünftigen Gesprächspartner ein paar Fragen als Struktur des Interviews, er mailte freundlich zurück und nach ein paar weiteren Tagen stieg die Party.

Das Suppenkoma ließ auch nicht auf sich warten, alle waren zufrieden – die Teilnehmerinnen warteten gespannt, interessiert oder ergeben auf den letzten Themenblock. Nach der Anmoderation des Referenten setzte ich mich nicht einfach auf meinen Platz. Wir plauderten einfach weiter, manchmal entlang der abgestimmten Fragen, manchmal spontan wie es sich gerade so ergab. Mein Gesprächspartner erzählte, was ihm wichtig war und ich fragte, was mich interessierte. Die Teilnehmer wurden einbezogen und so wurde es insgesamt eine Gesprächsrunde. Wir hatten auf der Bühne unsere Spaß und sorgten dafür, dass auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den ihrigen hatten.

Ein Beispiel: das Thema meines Partners war der kontrollierte Konsum. Gemeint sind damit von Substanzen abhängige Menschen - etwa abhängig von Alkohol -, die diesen Konsum nicht aufgeben können oder wollen, ihn aber dennoch kontrollieren möchten. Auf Erfolgszahlen angesprochen, sagte der Experte, die seien nicht „berauschend“. Das leichte Kichern im Publikum ob dieser Bemerkung nahm ich auf und paraphrasierte, die Zahlen seien also wohl „ernüchternd“.

Wir sprachen eine Stunde miteinander, eine Stunde lang gepackt voll mit Informationen, Denkanstößen und Spaß. Für mich als Moderator war das eine ideale Situation: spontan und den Bedürfnissen der Anwesenden entsprechend agieren und reagieren zu können, einen Gesprächspartner zu haben, der am gleichen Seil zog und Zuhörer, die sich bereitwillig vom Lasso der fruchtbaren und entspannten Atmosphäre einfangen ließen.

Übrigens: falls Sie einen Interviewpartner zum kontrollierten Konsum suchen, empfehle ich meinen Interviewpartner der Tagung. Sein Name ist Roland Keil und hier können Sie ihn finden.

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